Friedrich Hebbel | Premiere 17. März 2011 | Landungsbrücken Frankfurt a.M.
Konstanze Kappenstein, die an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst studierte, hat als Regieassistentin bei Armin Petras gearbeitet, als dieser noch die Experimentierbühne Schmidtstraße leitete. Diesen Einfluss erkennt man auch an ihrer Inszenierung von Hebbels "Maria Magdalena" für die Landungsbrücken:Kappensteins Version ist intensiv und direkt, mit dem Stoff geht sie frei um, die Handlung hat sie in die Gegenwart verlegt. Heldin Klara ist ungewollt schwanger, wird zum Spielball der Männer, vom Vater missbraucht:Susan Weckauf beeindruckt mit konzentriertem Spiel und zeigt eindrücklich die enorme Verzweiflung der Figur.Diese "Maria Magdalena" lässt keinen kalt, auch wenn etwas weniger "Ghetto-Chic" der Inszenierung sicher gut getan hätte.Prinz Frankfurt
Klara kotzt, und wir wissen Bescheid. (...) Regisseurin Konstanze Kappenstein (27) hat das Stück - sehr vekürzt, aber nah am Text - in die Jetztzeit verfrachtet. In das Betonambiente verwahrloster Vorstadt-Ghettos: alles Trash, alles Müll und Tüten.Das passt gut in die Landungsbrücken, ist aber mutig. Denn als existentielles Problem ist ein uneheliches Kind heute nur noch plausibel, wenn Klara beispielsweise Meyrem heisst. (...) Doch auch wenn Klaras Vater Jugo-Lieder singt, zeigt uns Kappenstein andere Abgründe. Von allen, die den so harmoniebedürftigen Teenie ausnutzen, ist der von Nenad Smigoc dunkel und kantig gespielte Alkie der Schlimmste. Er sucht in Klara alles, was ihn seine Flasche nicht vergessen hilft: die Moral der balkanischen Ahnen, aber Josef K. lässt grüßen - auch die Liebe ( und das jugendliche Fleisch) der verstorbenen Frau, der angebeteten Mama.Susan Weckauf reizt in der weiblichen Woyzeckiade mit hoher Präsenz die Gefühlsskala aus, lässt Klara wie in Trance träumen, freudetoben oder zu Kreuz kriechen, apathisch Fick und Fummeln erdulden oder in Vaters begehrlichen Armen das Kindchen spielen, um nicht Frau sein zu müssen.Eine furiose Inszenierung, die durch viele überraschende Sound-, Licht- und Szenenwechsel wie im Fluge vergeht.STRANDGUT Frankfurt
Ein Unort. Man fühlt sich an eine Brandfläche erinnert. Müll ist verstreut, drei Hollywoodschaukeln, ihrer Polster beraubt, wirken wie zu Sperrmüll verkommene Relikte einer einstigen Verheißung wohlig-kontemplativer Geborgenheit. (...) Der Raum, den die Ausstatterin Simone Steinhorst für Konstanze Kappensteins Inszenierung (...) geschaffen hat, legt nahe, dass es ein Entrinnen aus dem gesellschaftlichen Abseits nicht geben kann.Es ist ein einziges Klagelied , das die junge Regisseurin (...) unter Wahrung der Personenkonstellation und des Handlungsstrangs, ansonsten aber sehr frei nach Hebbel erzählt.Susan Weckauf als Klara, die Hauptfigur, ist eine junge, schwangere Frau mit migrantischer Familiengeschichte. Das Verhältnis zum Vater ist inzestuös. Ihrem Bräutigam Leonhard - Gianni von Weitershausen - als der klischeehafte ausstaffierte Nachtklubanimateur und - besitzer in spe hat sich aus einem Augenblick heraus hingegeben und damit den sie ernstlich liebenden Friedrich (betont unauffällig: Thomas Prazak) zurückgestoßen.(...) Ein jeder verfolgt seine Interessen; man monologisiert aneinander vorbei. Es sind nicht allein die Männer schuld, Klara steht sich mit ihrer Verfangenheit in den sozialen Erwartungen einerseits und in ihren Sehnsüchten auch selber im Wege.Es wird der szenische Knalleffekt gesucht. Auch melodramatische Züge sind diesem Theaterabend eigen. Eine Ambition zur geballten Intensität ist offenbar. (...)FRANKFURTER RUNDSCHAU, Stefan Michalzik